Unsere Sichtweisen und ihr Einfluss auf unser Gottesbild
Kennen Sie Menschen, die genau wissen, wie Gott ist? «Das sieht Gott gar nicht gern!», «Warte auf den konkreten Auftrag von Gott» oder «Gott wird dir deinen zukünftigen Ehepartner zeigen». Solche und ähnliche Sätze werden beispielsweise verwendet. Woher wissen diese Menschen das?
Als Christ habe ich schon viel über Gott gelesen. Nach traditionell christlicher Denkweise spricht er in erster Linie durch die Bibel zu uns. So weit, so gut. Wie ist Gott? Dieser Frage sind einige Glaubensväter aus der Bibel ebenfalls nachgegangen. Ihn sehen. Ihn spüren. Verstehen und begreifen können. Ein Wunsch, der nachvollziehbar und der tief in mir ist. Der Wunsch nach einem Glaubensbeweis. Verständlich. Glaube bedeutet nicht sehen können und doch wissen. So sagt man. Ich möchte das Thema Gottesbild noch etwas weiter verfolgen. Und vielleicht ein bisschen provozieren.

Gottesbild: Ein Bild, das von Lebenserfahrung geprägt wird
Wissen, wer Gott ist?
Der Blick auf die Traditionen vieler Naturvölker zeigt: Menschen glauben an ein höheres Wesen. Würde man 100 Menschen befragen, wie Gott sei, gäbe es vermutlich 100 unterschiedliche Meinungen. Das trotz einer Allwissenheit von einzelnen Glaubensführern und Christen, die wissen, «wie es wirklich ist» (sogenannte moralische Überlegenheit). Diese Allwissenheit hat einen grossen Nachteil: Sie kann sehr abstossend wirken. Während eine ehrliche Antwort im Sinn von «Wir können uns nur auf die Aussagen der Bibel anlehnen und es erahnen» ehrlicher und glaubwürdiger wäre.
Alle diese 100 erfragten Meinungen von vorhin wären die Folge von eigenem Erleben und Bewerten (= Sichtweisen). Eigene Sichtweisen und darum als «richtig» empfunden. Die Individualpsychologie spricht von der inneren «privaten Logik» des einzelnen Menschen. «Es» ist so, wie ich es sehe und erlebe. Darum empfinde ich «es» als die Wahrheit. Im Sinne von my_gottesbild.ch, meine ganz persönliche und individuelle Sicht. Das darf so sein. Dann, wenn andere Meinungen Platz haben. Wenn es nicht ums Recht haben wollen geht. Das gilt auch für meinen Glauben an Gott. Wer seinen Vater im Kindesalter als streng, übergenau oder liebevoll erlebt hat, wird dieses Bild ins Leben mitnehmen. Dieser Gott wird dann als streng, liebevoll und als übergenau erlebt. Wer in einer Familie mit verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist, gibt seinem Gottesbild mehr Flexibilität als in einer Familie, wo alles Fremde von Grund auf angezweifelt wird.
Wie ist Gott denn nun wirklich? Welches Gottesbild ist das richtige?
Ich vermute, das am meisten verbreitete Gottesbild ist dasjenige des alten, weisen und liebevollen Mannes mit dem langen weissen Bart. Ein Greis, der uns gleichzeitig wenig Freiheit gönnt. Der über uns wacht (wenn er grad Zeit und Lust hat) und manchmal den Zeigefinger hebt, wenn wir etwas tun, das ihm nicht gefällt. Dieses Gottesbild habe ich abgelegt. Dieser Greis würde kaum seinen Sohn Jesus Christus zu den Menschen senden. Warum auch? Er sieht ja sowieso alles von seinem Himmelsthron. Warum also Massnahmen ergreifen? Warum «Menschenretterlis» spielen? Wie Gott nun wirklich ist, das wird niemand des Diesseits sagen können. Wie wir ihn erleben, hingegen schon. Und wenn wir es als das deklarieren, dann wirkt dies überzeugend und vielleicht auch einladend!