Gott festhalten und erfassen
Wer ist Gott? Was denkt er und wie handelt er? Zum Beispiel, wenn Menschen sich bekriegen oder Mobbing betreiben? Sich anderswie asozial verhalten? Gott als stiller Zuschauer? Als Dulder? Wegseher? Was geht ab, wenn wir ihn bitten bei uns zu sein? Wenn wir ihn einladen zu uns in den Gottesdienst? Obwohl er uns die Zusage gemacht hat, er sei immer bei uns, «bis ans Ende der Welt». Liegt es an uns oder an Gott, wie nahe er uns ist? Gibt es im christlichen Glauben Ursache und Wirkung? Nach dem Motto: Ich bete, Gott handelt? Ich bete nicht, Gott handelt nicht? Ist er begreifbar?
«Gott im Kopf»
So lautet der Titel eines Artikels in der NZZ vom 21. Dezember 2014. Dort wird berichtet, wie Forscher Gott im Hirn zu messen versuchten. Religiöse Verzückung lässt sich offenbar messen, so die These. Doch habe bisher noch niemand Gott zu fassen bekommen, berichtet der NZZ-Autor Michael Furger. Der Neurologe Michael Persinger hatte ein Experiment mit verschiedenen Testpersonen durchgeführt. Mit einem gelben Motorradhelm mit einmontierten Elektrospulen auf dem Kopf der Probanden.
Einige davon berichteten laut NZZ-Artikel, dass sie die «Gegenwart Gottes» erlebten. Andere schrien vor Angst, weinten vor Ergriffenheit, glaubten zu schweben oder hörten innere Stimmen.
Dass Glaube wirksam ist, davon bin ich überzeugt. Wenn vielleicht auch in einer anderen Art.
Dieser Test wurde in den 1990er Jahren durchgeführt. Persinger behauptete, er könne durch den elektromagnetischen Reiz des Gehirns religiöse Erlebnisse generieren. Andere Forscher haben dies inzwischen widerlegt. Auch der Radiologe und Religionswissenschaftler Andrew Newberg glaubte zu wissen, wie Glaube im Gehirn entsteht. NZZ Autor Michael Furger beendet seinen Artikel «Gott im Kopf» mit dem Fazit, dass Gott im Kopf zu suchen etwa das Gleiche sei, wie den Nachrichtensprecher im Fernseher, nachdem man das TV-Gerät aufgeschraubt habe (Quelle: NZZ «Gott im Kopf»).
Nicht Greifbares findet sich eben schlecht.
Wo ist Gott genau? Gott erkennen, festhalten und erfahren.
Gott in den Kirchen
Und was sagen die, die sagen, ihn zu kennen? Auf wo-ist-gott.info lese ich, dass Gott ein geistliches Wesen sei und in einem für uns Menschen unzugänglichen und nicht sichtbaren Raum (gemeint ist der Himmel) wohne. Dort schaue Gott auf unsere Erde, die er mit allem, was wir darauf finden, geschaffen hat. Er sehe genau, was wir Menschen alles tun.
Auch der Sektenexperte Hugo Stamm schreibt im Blog «Wo ist Gott?» von einem eher fernen Gott. Das Abseitsstehen Gottes widerspreche eklatant unserem Gerechtigkeitssinn und der Bibel, die die Nächstenliebe als hohes Gut interpretiere. Diese Nächstenliebe lasse Gott vermissen, wenn wir Menschen leiden.
Auf einfachemeditationen.wordpress.com finde ich nach zugegeben langer Suche eine andere Erklärung: «Jeder Mensch, der aufhört, Gott im Aussen zu suchen und anzubeten, und jeder, der beginnt, in seinem Herzen nach Gott zu fragen, wird ihn dort finden! Denn dort ist er zu Hause.»
Gott in uns?
Im Buch «Wendepunkt im Lebenslauf» zitiert der bekannte Paarberater und Buchautor Jürg Willi den einflussreichen spätmittelalterlichen Theologen und Philosophen Meister Eckhart: Gott ist in allen Dingen zuinnerst als ein «Sein».
Dieses «Sein» sei nicht fester Besitz, vielmehr wird es ununterbrochen empfangen. Laufend lebensspendende Kraft geben und doch nicht erfasst werden können.
Auch auf christ-in-der-gegenwart.de zitiert Willi Meister Eckhart: «mit Gottes Wirken mitwirken».
Eine abwartende und zugleich aktive Haltung also, um Gott zu erfassen.
Persönliches Leben einem übergreifenden Ganzen zur Verfügung zu stellen. Willi zitiert auch die französische Philosophin, Dozentin und Lehrerin sowie Sozialrevolutionärin jüdischer Abstammung Simone Weil:
Den wahren Glauben könne man sich nicht selbst verschaffen. Wenn überhaupt, könne sich Gott nur selbst dem Geschöpf erschliessen.
Wenn Gott in uns ist, hat das sichtbare Folgen
Wenn Gott in uns ist…
…stellt sich dann überhaupt noch die Frage «Wo ist Gott?» Müsste sie anders gestellt werden? Wo sind wir? Denn laut Eckehart und Weil ist er ja offensichtlich da. Wenn das so ist, liegt eine gewisse Verantwortung bei uns. Was machen wir mit unserem Leben? Das klingt ganz stark nach Leistung, nach Religion. Nach Machbarkeit. Schon wieder. Nein! Ich schliesse mich der Aussage von Simone Weil an: Den wahren Glauben können wir uns nicht selbst verschaffen.
Vielleicht müssen wir umdenken. Es geht nicht darum, dass oder wie wir Gott greifbar festhalten können. Oder wo er ist. Es geht darum, dass wir bereit und offen für ihn sind.
Ein jegliches nach seiner Art. So wie uns Gott geschaffen hat.
Hören und Handeln. Dann, ja dann kann es sein, dass Gott plötzlich ganz nah ist …