«Geistlicher Missbrauch» – hat Gott wirklich gesagt?
In zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es immer wieder zu Missbräuchen, oftmals auch sexueller Art. Weniger bekannt ist der «geistliche Missbrauch», was von der Ausdrucksweise her ein «Unwort» ist und eigentlich besser «religiöser Missbrauch» heissen müsste, denn Gottes Geist missbraucht nie!
Bei religiösem Missbrauch werden spirituelle Bedürfnisse von Menschen für eigene Zwecke ausgenützt. Dahinter steckt bewusste oder auch unbewusste Manipulation von Menschen, um eigene oder «Gottes»- Ziele durchzusetzen. Insbesondere schwächere oder instabile Personen, laufen Gefahr, sich missbrauchen zu lassen.
Aus der Kultur und dem Zusammenhang gerissen
«Gott hat mir gezeigt, dass …»,
«Taste den Gesalbten des Herrn nicht an!» etc. sind Aussagen, die jede Widerrede im Keim zu ersticken drohen. Jegliche Art von Hinterfragen kann dann als Rebellion gegen Gott ausgelegt werden. Aussagen aus der Bibel werden aus dem Zusammenhang gerissen und bewusst oder unbewusst für eigene Zwecke ausgelegt. Diese Gefahr ist vor allem bei starken Führungspersönlichkeiten vorhanden, die konsequent ihre Vision verfolgen, keinen Widerspruch dulden und nicht selbstkritisch sind.
Als Gemeindemitglied erhalten solche Persönlichkeiten einen ganz speziellen Status.
Wer sie kritisiert, kritisiert indirekt den «Gesalbten des Herrn».
Gefahren des geistlichen Missbrauchs
Solches Verhalten hängt sehr stark mit dem bestehenden Gottesbild und der Auslegung und Verkündigung der Bibel zusammen.
Oft wollen es missbrauchende Menschen nach bestem Wissen und Gewissen sogar ganz besonders gut machen.
Wenn jedoch Krankheit oder Probleme im Leben als Zeichen mangelnden Glaubens vermittelt werden, wenn materieller Reichtum als Belohnung eines tiefen Glaubens verstanden oder wenn das «christliche Einssein» jegliche Diskussion und Meinungsverschiedenheit verbietet, besteht die Gefahr von religiösem Missbrauch.
Ein Beispiel, wie durch Erwartungen und unausgesprochene Regeln Druck oder eben religiöser Missbrauch entstehen kann, ist im Magazin «Insist» (Juli 2011) zu lesen. Dort weist der Pfarrer und Religionswissenschaftler Prof. Georg Schmid im Artikel «Pädophile stellen den Glauben infrage» auf die verbreitete Meinung hin, «dass sich mit rigoroser Glaubenstreue auch gravierende Belastungen der Mitglieder sozusagen automatisch neutralisieren und heilen liessen.»
Gerade in Fragen von Krankheit ist Vorsicht mit Glaubensregeln geboten.
«Je intensiver belastete Menschen versuchen, mit ihrem Glaubenseifer ihre Probleme zu vergessen, desto zwanghafter melden sich die Probleme wieder zurück.»
Wer zu wenig glaubt, wird auch nichts erreichen oder nicht gesund. Diese Aussage ist brandgefährlich und löst einen unglaublichen Druck auf Menschen aus, die sich zu wenig abgrenzen können.
Glaube wächst – heimlich
Der christliche Glaube ist etwas, das im «stillen Kämmerlein» wächst und konstruktive soziale Auswirkungen hat.
Die Gefahr im Glauben liegt wohl darin, dass immer wieder versucht wird, diesen qualitativ und quantitativ messen und entsprechend beeinflussen zu wollen.
Im Sinne von: Wenn die Gemeinde nicht wächst, ist «zu wenig Anliegen» für Menschen vorhanden, die nicht an Gott glauben. Die Folgen: Es wird entsprechend Druck von der Kanzel gemacht. Wachsender Glaube aber äussert sich in einer freien Liebesbeziehung zu Gott. Diese erst macht den gewinnbringenden Umgang mit dem Leben und den Mitmenschen möglich.
© christliche-werte.ch – überarbeitet am 20.05.21 (ar)